Seit einem Jahr ist das Open Source Projekt „NAM“ von Steve Atkinson nun online und es ist schon irgendwie magisch, wie sich das ganze Amp Modeling weiterentwickelt. Mit jeder Iteration wird die Qualität besser. Aber anfangs musste man für Kemper und Co. viel Geld bezahlen. Das Neural Amp Modeler Projekt ist Open Source und damit kostenfrei. Die Frage ist: Wie behauptet es sich gegen meinen aktuellen Favoriten den Headrush Amp Cloner?
Status Quo 2025
Inzwischen ist das digitale Amp Modeling auf einem Niveau angekommen, wo mir niemand mehr erzählen kann, dass er oder sie einen Unterschied zwischen einem echten Röhrenamp und dem digitalen Modell hören kann, sofern man eine der aktuellen Top-Plattformen nutzt, also: Kemper, NeuralDSP und Headrush. Bei den anderen Plattformen ist die Qualität sehr unterschiedlich. Auf jeden Fall aber ist das Modeling exzellent geworden.
Easy Clones
Headrush macht in 2025 vor, wie es gehen sollte: Cloner auf dem Headrush starten, verkabeln, Start drücken und 2 Minuten später ist ein Amp Clone fertig, der sich vom Original nicht unterscheiden lässt. Simpler und besser geht’s eigentlich kaum. Direkt vom Gerät kann man den Clone die die Cloud hochladen oder sich ebenso easy aus der Cloud beliebige Clone herunterladen. Das behalten wir mal im Hinterkopf…
NAM für Nerds
Um an ein NAM Profil zu kommen sind ungleich mehr Schritte und Zeit notwendig. Damit das deutlich wird kommt hier ein Tutorial, wie man zu einem hochwertigen Neural Amp Model kommt. Dabei beschreibe ich das Erstellen eines NAM Profils für einen Amp mit Cabinet.
NAM – Step 1
Als Werkzeug wird benötigt:
– Audiointerface, welches Reamping erlaubt.
– Rechner mit DAW Software
– Geeignetes Mikrofon (Sure SM57 z.Bsp.)
– 1/4″ TS Verkabelung
– input.wav von https://www.neuralampmodeler.com/
– Online Zugang zum NAMTrainer: https://colab.research.google.com/github/sdatkinson/NAMTrainerColab/blob/main/notebook.ipynb
Reamping bedeutet, dass man eine rohe Instrumenten Quelle (Track in der DAW) an einen Ausgang des Interface routet, diesen Ausgang mit dem Instrumenteneingang des Amps verbindet. Nun wird das Mikrofon mit einem der Eingänge des Interface verbunden und dieser Eingang wird auf einen neuen leeren Track in der DAW geroutet. Wen man nun ein Recording startet, wird das rohe Signal in den Amp gespielt und über das Mikrofon in einen neuen Track aufgenommen. Der neue Track hat dann den Sound des Amp und des Cabs.
Als Interface beschreibe ich hier mein ZOOM AMS-44, was sich für das Reamping wegen seiner 4 Aus- und Eingänge inkl. 2x 6,3mm Klingenausgänge perfekt eignet.
NAM – Step 2
In der DAW wird ein neues Projekt (48 kHz, 24bit) angelegt. Auf Track-1 wird das input.wav gelegt. Der Ausgang von Track-1 geht auf Output-1 des ZOOM AMS-44. Ein leerer Track-2 bekommt als Input den Kanal 1 des Interface. Das Mikrofon wird wie gewünscht positioniert und an Kanal 1 angeschlossen.
NAM – Step 3
Jetzt geht es ans Einpegeln. Ich habe viel Zeit damit verbracht, am Pegel zu feilen, bis perfekte NAM Profile herauskamen. Daher hier als dringende Empfehlung: Der Input-Pegel muss in der Spitze exakte -6 dB erreichen. Auf keinen Fall darf der Pegel höher gehen. Ein Pegel, der auf z.Bsp. 0 dB in der Spitze geht führt zu einem massiven Qualitätsverlust. Je nach dem, wie die DAW funktioniert, muss man erst ein paar Trockenübungen machen, bis der richtige Pegel gefunden ist. Dabei sollte so wenig Vorverstärkung am Interface verwendet werden wie möglich und der Amp sollte mit einer soliden Lautstärke gefahren werden, damit Sound und Charakter richtig herüberkommen. Angenehme Zimmerlautstärke funktioniert nicht.

NAM – Step 4
Der Schritt ist einfach: Die Aufnahme wird gestartet und wenn das input.wav abgespielt ist, wieder gestoppt. Nach der Aufnahme muss der neue Track am Ende genau auf die Länge der input.wav getrimmt werden. Und zwar absolut exakt, sonst funktioniert später der NAMTrainer nicht.
NAM – Step 5
Der neue und getrimmte Track wird nun als 48 kHz, 24bit WAV Datei mit dem Namen output.wav gespeichert. Wichtig: Großkleinschreibung ist zu beachten. Es dürfen nur Kleinbuchstaben verwendet werden.
NAM – Step 6
Man geht online auf den NAMTrainer unter https://colab.research.google.com/github/sdatkinson/NAMTrainerColab/blob/main/notebook.ipynb
Dazu braucht man ein Google Konto. Im Dateibrowser des NAM Trainers legt man nun die input.wav und die output.wav ab. Spätestens jetzt könnte man die Dateien noch umbenennen. Danach kann man schon den „Play“ Button drücken, um die Umwandlung zu starten. Es dauert ca. 10 Minuten, bis unter „exported_models/version_0“ das erste „model.nam“ erscheint.
NAM – Step 7
Nach dem Download des model.nam kann man das Model im NAM Plugin ausprobieren. Das Plugin mit Standalone Anwendung kann man auf https://www.neuralampmodeler.com/ herunterladen.
NAM Qualität
Die Qualität der NAM Profile ist wirklich exzellent. Leider neigen die Modelle bei mir dazu immer etwas weniger höhenreich zu klingen, als das Original. Das lässt sich allerdings mit einem EQ etwas ausgleichen. Im Vergleich zu Clonen, die mit der aktuellen Headrush Plattform gemacht wurden, fallen die NAM Profile zurück. Das ist vielleicht Meckern auf hohem Niveau und subjektiv, aber irgendwie liegt so eine leichte „Decke“ über dem NAM Sound. Trotzdem: Der Sound insgesamt ist hervorragend und absolut brauchbar.
Headrush Vorsprung
Ein Clone aus dem Headrush AmpCloner hat Gain, Bass, Middle, Treble, Volume, Presence, Chug und Sag. Und das in signifikanten Regelbereichen. Außerdem lassen sich Clone zu Superclonen zusammenfassen, die über den Gainregler ineinander geblendet werden können. Hat man einen Amp mit Cab geclont, kann man im Clone über einen Schalter das Cabinet ein und ausschalten. All das bekommt man in einer herausragenden Qualität. Dagegen ist ein NAM Profil mit Gain, Bass, Middle, Treble, Volume in überschaubaren Regelbereichen wirklich nicht der Goldstandard.
Re-Cloning / Re-Capture
Es ist vielleicht etwas absurd, ergibt aber besser Ergebnisse, als das direkte Capturen: Den Clone clonen. Ich habe ja schon eine Reihe von exzellenten Clonen mit dem Headrush bzw. der AmpCloner Mac Software erstellt und auf dem Headrush gespeichert. Der Headrush unterstützt im Audiointerface Mode das direkte Reamping. Dazu legt man den Output im Interface auf Kanal 3 und den Input auf Kanal 1. Schon kann man ohne Lärm ein output.wav eines jeden Headrush Clones erstellen. Interessanterweise sind diese Re-Captures wie eine 1:1 Kopie, d.h. das NAM Profil klingt genau wie der Headrush Clone.

Verwendung in der DAW
Über das Plugin, lassen sich NAM Profile jederzeit in der DAW nutzen. Das ist schonmal sehr praktisch. Ob das aber große Schritt nach vorne ist, wage ich zu bezweifeln. Ein professionelles Plugin bzw. die Headrush Modelle klingen für mich besser, als ein NAM das auf direktem Weg entstanden ist. Ein NAM aus einen bereits existenten Clone zu erzeugen ist ja unnötige doppelte Arbeit.
Aufwand
NAM ist ein Nerdtool. Ich brauche für ein NAM nicht nur haarsträubend viel länger, es sind auch viel zu viel manuelle Schritte nötig. Das Clonen in der Headrush Welt dauert 2 Minuten und ich brauche kaum etwas tun, außer die 2 Minuten abzuwarten.
Live
Jetzt wird es schwierig. Es wäre natürlich schick, wenn man seine NAM Profile im Modeler live benutzen könnte. Aktuell gibt es 2 Möglichkeiten: Software plus Interface oder ein Pedal, was NAM unterstützt. Leider gibt es da nicht so viel. Ich finde das Dimehead.de Projekt ganz nett, aber das Gerät mit seinem Gameboy Display löst bei mir leider absolut keinen Haben-Wollen-Reflex aus. Immerhin gibt es etwas und das Made In Germany… wenn ich 100 Euro auf den Dimehead drauflege, bin ich beim Headrush Core und habe die Cloner Software gleich mit dabei und eine Cloud mit unzähligen kostenlosen Amps, Rigs und Pedals. Für das Smartphone gibt es dann noch Gigfast Lite. Die App kann NAM Profile abspielen und macht das auch sehr gut. Dazu ein Interface und der große Gig kann kommen. Was den Preis der App angeht ist das aber schon sehr ambitioniert in Bezug auf den gebotenen Funktionsumfang. Aber hey: Es steckt ja auch Arbeit darin und wir wollen alle von unserer Arbeit leben. 44,90 kostet die App im Gegensatz zu den 59 Euro für einen Sonicake Pocket Master.
Mobiler Lichtblick
Die App NAM xt für 9,90 Euro ist ziemlich geil. Sie wirkt wie eine Light Version von Gigfast. Die App spielt „nur“ NAM und IR ab. Das sogar doppelt und mit Bass, Middle, Treble. Die App stellt auch eine AudioUnit bereit und damit funktioniert das NAM Profil auch in Cubasis unter iOS. Damit kann man schon richtig gute Tracks aufnehmen.

Meine NAMs gibt es kostenlos bei tonehunt.org
Wieso NAM?
Ganz ehrlich: Super interessant und ich bleibe gerne am Ball, aber ich bin eigentlich nur wegen meines kleinen Chinakrachers darauf gekommen. Der Sonicake Pocket Master kann nämlich NAM Profile abspielen. Bis zu 5 NAMs kann man als User Model in das kleine Gerät speichern. Der Pocket Master ist zwar nur ein Spielzeug, aber eben schön klein und ich habe meinen Marshall Super Bass in der Hosentasche. Ich kann also unterwegs mit ganz kleinem Besteck einen brauchbaren Sound auf die Kopfhörer bekommen und als Entwickler steckt eben ein bisschen Nerd in mir drin 😉 – Und für 59 Euro ist das eine hübsche Spielwiese.
Fazit
Irgendwo habe ich gelesen, dass NAM der neue Goldstandard wäre. NAM ist wirklich gut, keine Frage und als kostenfreie Open Source Lösung der Hammer. Aber ehrlich: Kein Goldstandard. Bei Open Source Projekten ist immer die Frage, wie lange sie am Leben bleiben und damit fällt mir es auch schwer, viel Geld in einen NAM Player zu investieren. Zumal es mehr als exzellente kommerzielle Produkte gibt (Headrush Prime/Core mit FW 4.0), die deutlich weiter voraus sind. Gäbe es vom Dimehead mal ein ganz kleines Teilchen, was das Format des Pocket Master hätte, aber exzellente Soundqualität und App Bedienbarkeit… das wäre was. Aber mal sehen, was in Zukunft mit dem NAM Projekt passiert. Cool wäre es, wenn sich daraus eine offene Plattform entwickelt, wo die Modeler Hardware nur noch ein Rechner mit Fußschaltern und Interface ist und man die Software selbst verwaltet. Aber unter uns: Mir ist eine kommerzielle und zuverlässige Gerätschaft mit geiler UI/UX viel lieber als jedes Bastelprojekt. Trotzdem großen Respekt an die Macher in und um dieses Projekt.