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Messsucher Fotografie, Elektrisches und Bass

Voigtländer Vitessa T

Die Voigtländer Vitessa T gehörte nicht zu den Kameras, an die ich zuerst dachte, wenn es um die Meßsucherfotografie geht, doch ist die Vitessa T zusammen mit ihrem Color-Skopar 50mm 1:2.8 Objektiv ein absolut ernstzunehmendes Werkzeug, für jeden, der gerne Bilder in höchster Schärfe und Kontrastreichtum erschaffen möchte.  Da verzeiht man der Kamera auch gerne die etwas umständlichere Bedienung im Vergleich zur einer Kamera mit einem Schnellschalthebel. Als Kind der 1950er Jahre hat die Vitessa T dennoch ein attraktives, modernes Design und eine interessante Technik im Inneren. Wie sich die Vitessa T in der fotografischen Praxis schlägt, wird sich gleich zeigen.

Hörtip: Podcast Folge 24: Voigtländer Vitessa T

Die Vitessa T

Voigtländer hat als Hersteller eine lange Tradition und viele der alten Vorkriegs-Bessa Balgenkameras im Mittelformat, die unsere Großelterngeneration recht häufig heute noch in der Schublade hat, waren nicht unbedingt die Speerspitze der Fotografie – weder in Konstruktion, noch in der Verarbeitungsqualität. Allerdings darf man nicht vergessen, dass viele dieser Kameramodelle für den kleinen Geldbeutel gedacht waren und somit nie den Anspruch einer Highendkamera hatten. Aber: Aus dem Hause Voigtländer kamen schon immer sehr gute Objektive und besonders heute extrem gute Gläser.

Voigtländer Vitessa T
Eine durchaus attraktive Kamera.

Viel besser als vermutet

Die Vitessa T ist sehr gut verarbeitet und fühlt sich wertig an. Die abgerundeten Ecken liegen sehr gefällig in der Hand. Es macht dementsprechend viel Spaß, die Kamera in der Hand zu halten. Die Konstruktion im Inneren ist simpel und übersichtlich. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich von diesem sehr intelligenten technischen Design wirklich begeistert bin. Die Kamera ist aus fertigungstechnischer Sicht absolut mustergültig in Komponenten aufgeteilt, die sich sehr leicht warten und reparieren lassen.

Reparaturspaß für 20,-

Ich habe meine hier vorgestellte Vitessa T für 20,- Euro über ein Kleinanzeigenportal gekauft. In der extrem kurzen Beschreibung stand nur, dass der Verschluss klemmt. Die Vitessa T kam dann aber, wie erwartet, mit einem blockierten Verschluss, funktionslosem Filmtransport und schwergängiger Combitaste daher. Nicht erwartet, hatte ich das fehlende Sucherokular und die extreme Verschmutzung. Außerdem hatte die Kamera einen gescheiterten Reparaturversuch hinter sich, der durch die ruinierten Schraubenköpfe sofort ins Auge gefallen ist.

Vitessa T offen
Sauber und vorbildliche Aufteilung in Baugruppen. Ebenso einfach lassen sich Antrieb und Meßsucher zerlegen und warten.

Glücklicherweise kann man die Vitessa T hervorragend zerlegen. Die gesamte Verschlusseinheit wird durch 4 Schrauben im Filmfach gehalten. Sind diese herausgedreht, kann man den Verschluss komplett nach vorne herausziehen und wunderbar warten. Nach dem Ausbau den Bildzählwerkes, liegt auch Antrieb mit der Combitaste frei und dann ebenso schön gewartet werden. Ich habe da nicht lange fackelt und alles an ausgebauten Kleinteilen in den Ultraschallreiniger gelegt und konnte so nach 30 Minuten die Kamera mit frischen Teilen wieder aufbauen.

Vitessa T Combitaste
Die Besonderheit der Vitessa T: Die Combitaste, oder auch Drillbohrer genannt.

Die Combitaste

Ich persönlich finde die Idee und Konstruktion genial: Der obere sichtbare Teil der Combitaste versetzt die Achse in eine Drehbewegung und dreht damit das Zahnrad (immer nur in eine Richtung). Das Zahnrad greift direkt in 2 weitere Zahnräder, die Stachelwalze und Aufwickelspule drehen. Die Abwärtsbewegung der oberen Combitaste zieht gleichzeitig den Verschluss auf. Die Anzahl an verwendeten Teilen ist minimal. So sehen intelligente Konstruktionen aus, die mit minimalen Aufwand ein Maximum an Funktionalität bieten.

Voigtländer Vitessa T
Technik der 1950er; der Selenbelichtungsmesser mit EV Skala für ASA 12 bis 400.

Justage

Ich glaube, dass Voigtländer ein riesiges Herz für Feinmechaniker gehabt haben muss, denn ich kenne wirklich keine Kamera, an der man so elegant und problemfrei arbeiten kann, wie an der Vitessa T. Die kombinierte Verschluss und Doppeltransportsperre ist offenbar der kleine Schwachpunkt der Vitessa. Hier musste sich dann doch schon etwas beherzter am Blech biegen, damit die Kamera mit angesetzter Rückwand sauber den Film transportiert. Die Justage des Meßsuchers ist brillant gelöst und funktioniert durch die Deckkappe grandios. Vorallem, weil die Justage durch die Zahnradübersetzung, eine unglaublich gute Feinabstimmung zulässt.  

Es wird scharf

Das zeigte sich schon unter dem Autokollimator. Der Bestzustand, den man am Kollimator sehen kann, ist wenn der Meßpunkt einen harten und glasklaren Rand aufweist. Beim ersten Blick konnte ich also schon ahnen, was da später auf mich zukommt. Es gibt nur wenige Objektive, bei denen ich bisher so ein Ergebnis gesehen habe und mein persönlicher Spitzenreiter ist das 50mm Zeiss Planar. Und seit heute das 50mm Color-Skopar 1:2.8. Als wäre der Meßpunkt mit einem Laser aus dem Okular geschnitten worden!

Voigtländer Vitessa T
Combitaste ausgefahren. Jetzt nur noch ganz nach unten drücken und der Film ist transportiert und der Verschluss gespannt.

Integrierter Dioptrienausgleich

Da bei meiner Vitessa T das Sucherokular fehlte, habe ich aus der Not heraus solange in meinem Fundus nach einer Linse gesucht, bis ich eine gefunden habe (danke an die alte Lightomatic für das Spenden des Teiles), die auch meine leichte Fehlsichtigkeit ausgleicht. Dadurch kann ich ohne Brille ein maximal scharfes Sucherbild erkennen.

Der Meßsucher

Ist kein Highlight an der Kamera, aber auch nicht schlecht. Es ist ziemlich klein aber ausreichend hell und sehr gut zu erkennen. Die Meßbasis ist Mittelmaß, reicht aber aus, um punktgenau zu fokussieren.

Voigtländer Vitessa T
Hurra: Sie wickelt den Film in die richtige Richtung.

Handling

Die Kamera liegt gut in der Hand, aber für meinen Geschmack ist die Bedienung etwas fummelig. Das liegt in Grunde aber nur daran, dass sich der Fokusknopf gerne mal “versteckt” und ertastet werden will und man ihn gerne mal mit dem geriffelten Ring direkt davor verwechselt – welcher aber keine Funktion hat. Wenn man die Kamera oft benutzt, gewöhnt man sich schnell daran. Nach 4 Filmen in kurzer Zeit, macht mir die Vitessa T sehr viel Freude. Die Idee mit der Combitaste finde ich aus technischer Sicht richtig gut, aber in der Fotopraxis ist sie keine Ideallösung. Unter der Deckkappe ist sehr viel leerer ungenutzter Raum, in dem man ganz sicher auch einen Schnellstarthebel untergebracht hätte.
Der Verschluss ist über einen EV Ring an die Blende gekoppelt und umgekehrt. Das ist durchaus praktisch für den Sunny 16 Fotografen, bzw. für den Fall, dass der Selenbelichtungsmesser noch funktioniert. Bei meiner Vitessa T tut er das sogar noch und zeigt sogar den korrekten EV Wert an. Wenn man Verschluss und Blende individuell einstellen möchte, wird es wieder etwas fummelig. Die Blendenskala ist zudem auch noch an der Unterseite des Objektivs angebracht. Das ist schon wirklich grenzwertig.

Die Ergebnisse

Hat man die kleinen Hürden in der Bedienung überwunden, dann belohnt einen die Vitessa T mit dem Color-Skopar 50mm 1:2.8 mit einer fulminanten Bildqualität. Was da an Schärfe und Kontrast aus der Linse herauskommt, ist schon mehr als nur bemerkenswert. Die Abbildungsleistung der kleinen Optik liegt auf absolutem Topniveau. Hier brilliert die Vitessa T dermaßen, dass ich sie in dieser Disziplin ganz vielen Kameras-/Objektivkombinationen vorziehen würde.

Voigtländer Vitessa T
Schönes Detail: Die beiden roten Markierungen bewegen sich synchron zur Blende und zeigen dynamisch die Tiefenschärfe an.

Praxis

Kaum eine Kamera konnte mich bisher auf den zweiten, dritten und vierten Blick so begeistern, wie die Vitessa T. Mit jedem Film geht die Bedienung besser und inzwischen ohne nachzudenken. Die Combitaste lernt man schnell zu erfühlen und somit weiß man sehr schnell, ab welchem Punkt sie versenkt einrastet und wann das Feuer frei ist. Sie hat keine Rahmenlinien im Sucher und damit ist es im Nahbereich nicht leicht den Bildausschnitt zu bestimmen, aber mit einem kurzen Blick über die Kamera, kann man sich gut wieder ausrichten. Die Vitessa läuft zuverlässig und präzise wie ein Uhrwerk, Bildabstand und Aufzug laufen hervorragend. Und frisch restauriert ist die Combitaste bei Weitem nicht mehr so schwergängig, wie zuvor. Dadurch, dass ich gezwungen war ein neues Sucherokular einzubauen und somit gleichzeitig für meinen persönlichen Dioptrienausgleich gesorgt habe, kann ich derzeit keinen anderen Sucher schärfer erkennen, als den der Vitessa T. Vielleicht gelingen mir auch deshalb so scharfe Bilder. Stolze 799 Gramm wiegt die Kamera mit eingelegtem Film. Man hat also etwas Gewichtiges in der Hand. Durch das Gewicht, klappen aber auch Aufnahmen bis zu 1/15 aus der Hand. Mir gefällt die Kamera extrem gut.

Technische Daten

  • Zentralverschluss 1 bis 1/500 und B
  • X/M Blitzsynchronisation bei allen Verschlusszeiten
  • Vorlaufwerk ca. 10 Sekunden
  • Bajonett für Wechselobjektive
  • Combitaste für Filmtransport und Verschlussaufzug
  • Auslöser mit Drahtauslösergewinde
  • Mischbildentfernungsmesser 0,6x vergrößernd
  • Coldshoe für Zubehör (Blitzgeräte)
  • Stativgewinde 1/4″ im Kameraboden

In Summe

Die Voigtländer Vitessa T ist schon ein einmaliges Stück der Meßsuchergeschichte und dazu noch ein Highlight in der Abbildungsleistung. Wer ein schönes und funktionierendes Stück ergattern kann, sollte zuschlagen wenn es nicht unbedingt die erste Meßsucherkamera überhaupt ist. Dank der vergleichsweise einfachen Reparaturfähigkeit, lohnt es sich auch eher weniger gut erhaltene Exemplare zu ergattern. In der Praxis gewöhnt man sich schnell an die Bedienung und die Vitessa T hat einen sehr eigenen Charm mit ihrem eigenständigen Design. Ein Muß für jeden Meßsucher-Enthusiasten.

Voigtländer Vitessa T
Die Vitessa T
Vitessa T Color Skopar 50, 2.8
Voigtländer Vitessa T mit dem 50mm 1:2.8 Color-Skopar auf Ilford FP4+. Schnellscan mit dem Reflecta X7
Voigtländer Vitessa T
Der reparierte Rücken: Da bei meiner 20,- Vitessa T das komplette Sucherokular fehlte, habe ich eine passende Linse eingeklebt und im 3D Druck eine Fassung hergestellt.

Finale

Was natürlich nicht fehlen darf, ist das obligatorische Spiegelselfie mit der Voigtländer Vitessa T. Natürlich auf einem Ilford FP4+ bei 250 ASA, entwickelt in frischen XTOL. Freihand bei Blende 2.8 und 1/60 Verschlusszeit. Der Scan (aus reiner Faulheit, bzw. Bequemlichkeit) leider nur mit dem Reflecta X7.

Matz und die Vitessa T

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4 Kommentare

  1. Lüder 9. April 2023

    Hallo.
    Auf meiner Suche im Netz bin ich hier gelandet weil ich eine Anleitung suche, wie man den Sucher der Kamera justiert. Könnt ihr mir helfen?

    Mfg, Lüder

    • Matz 10. April 2023 — Autor der Seiten

      Hallo Lüder,
      Du schraubst den Blitzschuh heraus und drehst die Metallabdeckung zur Seite. Den Höhenversatz korrigierst Du mit dem Zahnrad im linken Loch (von hinten gesehen). Man setzt einfach einen flachen Schraubendreher zwischen die Zähne und dreht.
      Gruß, Matz

  2. Eugen Mezei 25. Juli 2023

    Und wieder jemand, der das Handbuch nicht gelesen hat. Dort wird nämlich beschrieben, daß der Sucher Parallaxenausgleich hat, demzufolge braucht es auch keinen Leuchtrahmen.

    • Matz 25. Juli 2023 — Autor der Seiten

      Ich habe nicht nur das originale Handbuch, sondern die Kamera auch restauriert. Das Modell hat absolut gar keinen Parallaxenausgleich.

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