Ende der 1920er Jahre versah Voigtländer erstmals eine Kameraserie mit dem Namen Bessa und fertigte bis Ende der 1950er Jahre Kameras mit diesem Namen. Wir werfen hier einen Blick auf eine Voigtländer Bessa I, die zwischen 1951 und 1957 gebaut wurde.
Eigentlich ist die Bessa I keine reinrassige Meßsucherkamera, denn der Meßsucher war nur optional erhältlich. Sie besitzt im Kameragehäuse ein absurd kleines Sucherfenster, dass das Ausrichten des Bildausschnittes erleichtern sollte. Eine echte Hilfe ist es kaum. Mit dem Meßsucher zum Aufstecken auf den Zubehörschuh, haben wir dann aber doch eine Meßsucherkamera, auch wenn der Meßsucher nicht an das Objektiv gekuppelt ist.
Die Fakten
- Vaskar 105mm 1:4,5 Objektiv
- Aufnahmeformat 6×9 oder 6×4,5 Mittelformat, umschaltbar
- 645 Maske Optional für das Filmfach
- Verschlusszeiten 1 Sek. bis 1/250 Sek. und B, deutsche Teilung
- Blende 4,5 bis 22 stufenlos
- Rändernd für den Filmtransport
- Bildnummernsichtfenster in der Rückwand (abdeckbar)
- Klappkamera mit Balgen
- Auslöserübertragung zum Objektiv
- Doppelbelichtungssperre
Es sind nicht besonders viele Features, mit denen die Bessa lockt. Sie ist eine Kamera für den damals noch jungen Massenmarkt und definierte sich eher über den Preis. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kamera fast ausschließlich aus gepressten Blech besteht und eine mechanische Genauigkeit vermissen lässt. Klappt man eine Bessa auf, dann ist es durch die recht labilen Bleche einfach nur Zufall, ob das Objektiv parallel zur Filmebene ausgerichtet ist und genauso zufällig ergibt sich dann ein mehr oder weniger scharfes Bild. Zugegeben: Im Zeitalter der Kontaktabzüge hat sich wohl kaum jemand bei einem 6x9cm Foto in den 30iger Jahren Gedanken über die optimale Schärfe gemacht. Ich habe mir bei meiner Bessa den Spaß erlaubt und die Mechanik so modifiziert, dass sie sich beim Arretieren des Objektives vollkommen plan auf die Filmebene ausrichtet. Zusammen mit einer perfekten Justage von Objektiv und Meßsucher ergibt sich daraus etwas schon Erstaunliches.
Denn perfekt justiert, begeistert das Vaskar 105mm f4,5 mit einer unglaublichen Schärfe über den gesamten Bildausschnitt. Durch das Mittelformat lassen sich mit einem guten Scanner und einem guten Film beeindruckende 115 Megapixel Bildinformation aus der Bessa I herauskitzeln. Für ein Optisches System der Nachkriegszeit und noch einer eher billigen Kamera, ist das mehr als beachtlich und macht wirklich Freude. Aber wie schon erwähnt: Das klappt nur mit einer perfekt justierten Optik. Meine ersten Versuche mit der damals noch umrestaurierten Kamera waren um Welten schlechter und daher erklären sich auch die eher durchwachsenen Erfahrungen, die man zur Bessa I lesen kann.
Die Naheinstellgrenze liegt bei knapp 1,4m. Man muss also schon etwas vom Motiv weggehen. Das Bokeh hingegen ist sehr gefällig. Die Blendenlamellen sind gerundet und ergeben eine schöne Öffnung. Der Mittelformat-Look mit seinem tollen Unschärfeverlauf kommen hier hervorragend zur Geltung. Trotz der nicht ganz so hohen Lichtstärke.
Der Meßsucher, oder besser gesagt der Zubehörmeßsucher der Bessa funktioniert wie jeder andere Meßsucher auch, hat aber eine kleine Meßbasis und hilft wirklich nur beim Scharfstellen. Für den Bildausschnitt ist er nicht zu gebrauchen.
Pfiffigerweise hat Voigtländer am Meßsucher als auch am Objektiv die exakt gleiche Skala verwendet. Wenn man den Meßsucher und das Objektiv der Bessa aufeinander abstimmt, hat man ein Werkzeug zum perfekten Fokussieren. Die Bedienung ist dabei ganz einfach, wenn man einen kleinen Trick anwendet: Man bestimmt als erstes die Entfernung zum Motiv und ließt den Wert ab. Ist der Wert zwischen zwei Markierungen, stellt man den nächsten „glatten“ Wert ein. Beispiel: 2,7m wurden gemessen, 3m werden eingestellt. Jetzt geht man einen halben Schritt zurück, bis das Motiv bei den eingestellten 3m im Fokus ist. Diese 3m stellt man dann am Objektiv ein und macht das Foto.
Mit dieser einfachen Technik, gelingen absolut scharfe Bilder mit der Bessa I. Eine gewisse Einschränkung in der heutigen Zeit, ist die die 1/250 Sek. als schnellste Verschlusszeit. Bei Filmen von 100 ASA und mehr, ist das bei gutem Licht schon kritisch und man sollte durchaus ein paar Filter immer dabei haben.
Die Bessa I mit dem Vaskar ist relativ günstig zu bekommen. Der Prontor-S Zentralverschluss lässt sich sehr einfach warten und meistens sind selbst weniger gut gepflegte Exemplare noch alltagstauglich. Wer also zwischendurch auch einmal Negative für echte Kerle in der Hand halten möchte, der kann bei einer Bessa I mit Meßsucherzubehör zugreifen.
Ein positiver Nebeneffekt der Klappkamera ist das geringe Packmaß und das ebenso geringe Gewicht. Ähnlich wie bei der Rolleiflex wird man auch bei der Bessa gerne angesprochen, wenn man damit unterwegs ist. Die Standardfrage ist: „Kann die auch schon Farbbilder machen?“ – Wer weiß darauf die Antwort… 😉
Vince 28. Februar 2021
„Klappt man eine Bessa auf, dann ist es durch die recht labilen Bleche einfach nur Zufall, ob das Objektiv parallel zur Filmebene ausgerichtet ist und genauso zufällig ergibt sich dann ein mehr oder weniger scharfes Bild.“
Hallo Matz,
ich habe das gleiche Schärfe-Problem mit meiner Bessa I. Kannst du mir sagen, wie genau du das gelöst hast?
Danke und viele Grüße, Vince
Matz 1. März 2021 — Autor der Seiten
Hallo Vince,
die Aktion damals war ziemlich aufwendig. Schritt 1 war das Ausbohren aller Nieten und das Setzen von neuen und spielfreien Nietverbindungen. Der Objektivanschlag wurde dann mit passenden Messingblechstücken so unterfüttert, dass am Ende ein unversehrtes Bild möglich wurde. Die Kamera öffnet dadurch deutlich strammer. Der 2. Schritt ist das Einjustieren der Optik am Kollimator, damit man die Unendlichstellung exakt hinbekommt.
Gruss, Matz
Vince 3. März 2021
Ok, danke. Dann schaue ich mir mal an, ob das für mich eine Lösung ist 🙂
Viele Grüße, Vince
Ralph Wenzel 3. September 2023
Hallo Matz,
Beim Fokussieren mit Aufsteck-Entfernungsmessern habe ich einen anderen Ansatz.
Deine Methode beim Fokussieren nach Entfernungsmesser-Skala ist sicher erste Wahl bei abweichenden Skalierungen von Objektiv und E-Messer (Ganze Meter oder gleichlautende Werte einstellen und durch Körperbewegung den Abgleich besorgen). Das Pfiffige an gleichen Entfernungsskalen ist doch, dass sich Zwischenwerte sehr genau , schnell und direkt übertragen lassen: Den Index auf den gleichen Abstand zwischen zwei Markierungen zu bringen halte ich für die leichtere Übung!
Rainer Wahl 20. Januar 2024
…die Notwendigkeit einer Objektiv-Justage hängt wahrscheinlich davon ab, wie oft die Kamera geöffnet wurde. Viel Spiel = viel benutzt
Uwe Krause 17. August 2024
Bei meiner Bessa I stand das Objektiv nach Augenschein gut parallel zur Filmebene, und doch waren alle Bilder absolut unscharf. Mein erster Testfilm war maximal enttäuschend.
Ich habe eine Mattscheibe in der Filmebene mit „Butterbrotpapier“ improvisiert. So konnte ich sehen, dass die Entfernungsangaben der Skala komplett falsch waren, wie das zustande kam ist mir nicht klar.
Zum Glück kann man das selber korrigieren: der vorderste Objektivring hat drei Madenschrauben. Das sie sehr klein sind, müssen sie behutsam gelöst werden. Danach kann die Entfernung per Butterbrotpapier-Mattscheibe korrigiert werden. Ich konnte meine Einstellung per Massband auf 3 Meter und mit dem zur Kamera passenden Voitgländer Mischbildmessucher prüfen.