Eine Meßsucherkamera, die man nicht aus dem Hause Agfa vermuten würde. Mit Wechselobjektiven, Schnellschalthebel und einem erstklassigen Meßsucher mit schaltbaren Leuchtrahmen und Parallaxenkorrektur, bot die Agfa Ambi Silette bei ihrer Vorstellung 1956 ein ganze Menge für den Preis von 298 DM. Eine stolze Summe als dann 1957 der Verkauf startete, aber im Vergleich zu einer Leica M3 ein Schnäppchen. Ein Grund sich die Ambi Silette genauer anzusehen.
Agfa
Wenn man als Freund des Meßsuchers an eine Kamera bzw. Kameramarke denkt, dann fällt einem Agfa nicht unbedingt als Erstes ein. Agfa als Hersteller von Fotochemie hatte schon früh erkannt, dass der Kunde zum Verbrauchen von Filmen animiert werden will und daher viele sehr preiswerte und einfache Kameras in Massen auf den Markt geworfen. In den Jahren vor dem 2. Weltkrieg verschenkte Agfa sogar Boxkameras einfach so an die jeweils besten Schüler eines Jahrganges. Agfa produzierte schon damals Millionen von Kameras, die aber alle nur das Ziel hatten, die Verkäufe von Filmmaterial anzutreiben. Aus diesem Grund konnte man fototechnisch auch nicht allzu viel von Agfa Kameras erwarten. Allerdings gab es immer wieder einmal Ausnahmen. Ein dieser Ausnahmen der Agfa Regel war die Agfa Ambi Silette.
Der Meßsucher
Was Agfa in die Ambi Silette da eingebaut hat, ist mehr als beachtlich. Die Meßsuchereinheit der Kamera vereint alle Konstruktionsmerkmale von Suchern, die sonst erst in den 1970er und 1980er Jahre in Kameras (außer Leica) verbaut wurden. Betrachtet man das Jahr 1956, in dem die Kamera vorgestellt wurde und rechnet die Entwicklungszeit ein, dann dürfte dieses Suchersystem also in der Mitte der 1950er Jahre entstanden sein: Eine respektable Innovation. Es gibt japanische Sucher aus der Zeit , die ähnliche Merkmale aufweisen, aber außer der Ambi Silette gab es 1956 keine weitere Meßsucherkamera, die mit schaltenbaren Leuchtrahmen für 35, 50 und 90mm inkl. Parallaxenkorrektur und einer glockenklaren 0,8x Vergrößerung aufwarten konnte.
Das Meßsuchererlebnis
In dieser Disziplin ist die Afga Ambi Silette kaum zu schlagen. Der Meßfleck ist hell und klar und das Sucherfenster hat ein leicht gelb-orange Tönung, was für einen besseren Kontrast sorgt. Mit dieser Sucher kann man auch noch ganz locker bei sehr wenig Licht exakt fokussieren. Das kann eigentlich nur noch eine Leica M oder Konica IIIa, wenn man die Kameras dieser Epoche vergleicht. Zur Erkennbarkeit kommt noch die verhältnismässig große effektive Messbasis hinzu, was das Fokussieren noch weiter erleichtert. Hier ist aber immer noch nicht das Ende erreicht: Der Fokkusierweg am Objektiv beträgt rekordverdächtige 280°, also mehr als ein dreiviertel Umdrehung (!) Damit lässt sich die Schärfe auf den Millimeter genau setzen. Als Sahnehaube auf diesem Suchersystem, sitzt ein parallaxenkorrigierter Leuchtrahmen, der über einen Schiebeschalter auf der Oberseite der Kamera zwischen 35, 50 und 90mm Brennweite umgeschaltet werden kann. Dieses Suchersystem findet man übrigens auch in der Neuzeit wieder: Die Bessa R verwendet dieses Prinzip ebenfalls.
Objektivwechsel
Bei der Agfa Ambi Silette können die Objektive an einer Bajonettfassung gewechselt werden. Es stehen 4 Objektive zur Wahl: Ein 35mm f4, ein 50mm f2.8, ein 90mm f4 und ein 130mm f4. Lichtstärke ist also nicht so die Domäne der Ambi Silette. Das 50mm f2.8 ist das Standardobjektiv, was zusammen mit der Kamera in der Verpackung lag und dieses Objektiv ist wirklich sehr gut. Die Ambi Silette nutzt einen Zentralverschluss und da dieser einen gewissen Grundabstand zur Filmebene braucht, damit das Negativ komplett ausgeleuchtet werden kann, ist es realtiv schwer lichtstarke Wechselobjektive für so ein System zu entwerfen. Die gesamte Optik muss ja vor dem Verschluss liegen. Eine Offenblende von 2.8 ist da schon gar nicht so schlecht und die kleine Linse liefert wirklich überdurchschnittlich ab. Die Schärfe ist exzellent für die damalige Zeit und der Unschärfeverlauf ist harmonisch. Man darf keine Wunder erwarten, aber im Jahr 1956 kam es dem Fotografen nicht auf unscharfe Hintergründe an. Im Gegenteil: Je größer die Tiefenschärfe, desto besser, war die Devise jeder Zeit.
Moderne Zeiten
Ein Attribut, was auf den Synchro Compur Verschluss zutrifft, denn die Zeiten von 1/1 bis 1/500 und B teilen sich bei der Agfa Ambi Silette in die moderne Lichtwertreihe auf und nicht mehr in die alte deutsche Zeitenreihe. Während also so manche berühmte deutsche Kamera mit Verschlusszeiten auskommen musste, die nicht zu den Lichtwertstufen der Blende passten, geht die Ambi Silette hier schon in die Moderne. Der Verschluss bietet eine X und M Synchronisation an und hat ein Vorlaufwerk von ca. 10 Sek. Leider kann man nicht sehen, wie das Vorlaufwerk abläuft, was für Selbstportaits etwas nachteilig sein kann.
Simplizität
Nicht alles an der Ambi Silette ist ein Ausdruck feinmechnischer Kompetenz. Der Filmtransport ist sehr rustikal, sehr einfach und ohne große Extras konstruiert. Der Schnellschalthebel bewegt über einen einfachen Schieber den Verschluss und transportiert dabei über ein einfaches Zahnrad mit Friktionskupplung den Film. Das Bildzählwerk ist eine einfach Scheibe an der Oberseite und die simple Rückholfeder zieht den Hebel immer bis an das Gehäuse zurück. Der Rückspulknopf hat keine Kurbel und zum Rückspulen muss der Freigabeknopf gedrückt gehalten werden. Hier wurde gespart, was nur irgendwie möglich war und die Teile des Filmtransports kann man fast an einer Hand abzählen.
Respekt
Ich persönlich bin ein absoluter Fan von solchen einfachen wie effektiven Konstruktionen. Eine Kamera ohne viele komplizierte und verzichtbare Annehmlichkeiten, dafür eine solide Technik und ein tolles fotografisches Erlebnis. Und das ganze noch zu einem leistbaren Preis. So macht man das.
Das Handling
Beim Fotografieren ist die Kamera ein geschmeidiger Begleiter. Sie ist ziemlich kompakt, leicht und hat die Bedienelemente dort, wo man sie intuitiv auch vermutet. Zum Meßsuchen, muss der Deckel vor dem Sucher geöffnet werden. Das ist zwar ein zusätzlicher Bedienschritt, aber man hat gleichzeitig eine Sonnenblende für den Sucher. Klasse! Da wurde tatsächlich einmal mitgedacht, denn als Meßsucherfotograf kennen wir ja die Probleme, die durch Reflektionen im Gegenlicht entstehen können. Die Belichtung lässt sich gut einstellen und die Blende rastet in halben Stufen. Dank der EV Zeitenreihe eignet sich dieser Klassiker hervorranged für modernes Sunny Sixteen. Wie schon angesprochen, macht die Kamera beim zurückspulen des Films keine echte Freude, aber das verzeiht man ihr gerne.
Fakten
- Zentralverschluss mit Zeiten von 1/1 bis 1/500 und B
- X und M Blitzsynchronisation
- Vorlaufwerk 10 Sek.
- Wechselfassung für 4 Agfa Objektive
- Gekuppelter Mischbildentfernungsmesser 0,8x
- Parallaxenkorrektur
- Rahmenlinien für 35, 50 und 90mm schaltbar
- Schnellschalthebel mit Einfachaufzug
- Bildzählwerk für 36 Aufnahmen
- Filmmerkscheibe im Rückspulknopf
- Standardobjektiv 50mm f2.8, 4 Linsen, vergütet und optimiert für Colorfilm
Empfehlung
Diese Kamera eigent sich als Geheimtip für jeden, der günstig einen Einsteig in die Meßsucherfotografie sucht, oder einfach nur so sich für das Thema begeistert. Sie ist einfach zu warten und nahezu unverwüstlich. Die aktuellen Preise sind ziemlich im Keller, da dieses Modell nicht im Fokus der Messuchergemeinde liegt. Vielleicht ändert dieser Artikel das jetzt. Die Ambi Silette hat es in jedem Fall verdient, mehr Beachtung zu finden.
Ambi Silette I – Meßsucher justieren
Ein paar Anmerkungen zur Justage des Meßsuchers: Die Deckkappe der Ambi Silette muß zwingend entfernt werden. Die Entfernung wird über 2 Grundjustagen geregelt. Zum einen befindet sich mittig unter dem Suchergehäuse ein 1,5mm Madenschraube, die den Abstand um Übertragungshebel justiert. Zum anderen ist die räumliche Ausrichtung des Prismas maßgebend. Das Prisma lagert zur spitzen Vorderkante hin auf einer Feder und wird justiert über die Madenschraube in der unteren Ecke des Prismas. Achtung (!): Der Prismahalter ist mit Kleber fixiert. Der Kleber muss vor einer Justage gelöst werden. Die Gundeinstellung wird so eingeregelt, dass die Entfernungsjustage komplett herausgedreht ist. Dann wird das Prisma so ausgerichtet, dass die Naheinstellgrenze (1m) überlagert. Erst danach wird die Entfernung bis Unendlich feinjustiert. Parallel dazu muss ggf. das Prisma nach justiert werden. Es sind 3 Meßtafeln bei 1m, 3m und Unendlich erforderlich, um den Sucher korrekt einzustellen. Ist das Prisma korrekt ausgerichtet, sollte eine Höhenkorrektur nicht erforderlich sein. Falls doch, wird das über den Halter der Zwischenlinse gemacht. Die Schrauben werden nur ganz leicht angelöst, bis sich der Halter bewegen lässt und dann wieder fixiert.
Ralph Wenzel 21. Oktober 2021
Hallo,
angsteckt von deiner Rezension, habe ich mir nun auch ein gut funktionierendes Set mit den 3 sucherkompatiblen Brennweiten zusammengestellt. Die Preise in 2021 dafür sind mit etwas Geduld immer noch sehr überschaubar (nur etwas über 100 Euro). Gefunden auf einer amerikanischen Website und hier anführen möchte ich ein weiteres, einzigartiges Feature: Beim Ansetzen eines Objektivs muß man nicht nach den roten Markierungspunkten Ausschau halten sondern kann die Optik “blind” aufsetzen und mit einem kurzen Dreh in die richtige Verriegelungsposition “fallen” lassen. Einfach genial.
Grüße Ralph
Matz 21. Oktober 2021 — Autor der Seiten
Hallo Ralph.
Toll, dass Du das hier nochmal erwähnt hast, denn das blinde Einrasten des Objektivs ist ein wirklich tolle Lösung.
Viel Spass mit der Agfa!
Gruss, Matz
HelgeH 21. September 2022
Hallo!
Das Ding macht alles, und das in guter Qualität und halbwegs bedienungsfreundlich, was ich an der Kiev 4 vermisse … schneller Objektivwechsel, guter, heller Sucher … einzig der Aufzugshebel ist etwas frickelig zu bedienen. Toller Tip, ich find sie klasse.
Gruss, Helge
Mike 30. Juni 2023
Diese Kamera hat auch zwei Nahlinsen (?)
Agfa Ambi-Silette Proximeter I
Agfa Ambi-Silette Proximeter II
welche haben nicht nur für die Solinar, aber auch für Messsucher.
I – 100 – 50
II – 50 – 33
I + II – 33 – 25
Josman Schlosser 29. Januar 2024
Meine Name ist Hugo Josman. Ich habe und benutze noch Heute eine Ambi Silette II, war die Kamera aus meiner Mutter.
Ich habe nur das 50 mm Objektiv, und ja, ist wirklich eine fantastische Kamera!!
Eine Frage: haben Sie eine WhatsApp Nummer? So, ich könnte Ihnen Fotos aus meiner Kamera senden. Entschuldigen Sie ob ich habe etwas schlecht geschrieben, weil ich habe in 1989 die Grundstuffe der deutsche Sprache ins Goethe Institut geendet, also, ich habe etwas vergessen.
Grüsse aus Montevideo, Uruguay!!
Thomas Bayer 13. September 2024
Ich habe eine AGFA Ambi Silette II und nur das 35er Objektiv. Ich liebe diese einfache Kamera und nutze sie ausschließlich mit Sunny 16 und Fomapan 400. Dank des großen Belichtungsspielraums dieses Filmes photographiere ich fast nur mit der 250stel! Meine M6 mit Nokton von Voigtländer macht definitv keine besseren Bilder und bleibt immer öfter Zuhause. Die AGFA ist ein echter Geheimtipp und noch immer sehr preiswert… mein Exemplar im Topzustand hat mit Objektiv 50Euro in 2024 gekostet!
Manfred Buschmann 23. September 2024
Habe mir die Agfa Ambi Silette 1959 gekauft IchWar zu der Zeit in Unna beim Bund. Noch heute begleitet mich meine Silette bei besonderen Anlässen. Das Interesse von echten Fotofreunden ist mir gewiss. Bin mittlerweile 85 Jahre jung geworden. MfG Manfred.